„Mama, ich hab‘ Matsch im Mund!“: E1 mit Kantersieg im Saisonfinale
Drei Punkte in der Tabelle aufholen – Alltag. Aber neun Tore in einem Spiel? Das grenzt an Zauberei – normalerweise. Im letzten Punktspiel der Saison wollten die E1-Deerns gegen Nienstedten unbedingt ein versöhnliches Ende einer bewegten Spielzeit. Und dabei eventuell sogar den HSV in der Tabelle hinter sich lassen.
Der Grandplatz am Trenknerweg ist ja so etwas wie der Bahnsteig 9 ¾ bei „Harry Potter“. Er befindet sich in einer Paralleldimension zur gemeinen Fußballwelt. Der Platz kann Startpunkt in eine wunderbare Welt der Fußballmagie sein – wenn man denn vom Fritz’schen Fußballzauber beflügelt ist. Wer das nicht ist, sieht am Trenknerweg womöglich nur einen heute staubigen, morgen matschigen Platz, auf dem in naher Zukunft gottlob superduperschicke und mit bodentiefen Fenstern und Handtuchheizkörpern ausgestattete „Trenknerhöfe“ errichtet werden.
Das aber denken eben nur Fußball-Muggel. Und dazu zählen die Deerns von Trainer Fritz Schönrot natürlich nicht. So kommt es, dass zum Beispiel die E1-Mädchen zum letzten Liga-Spiel der Saison am Trenknerweg antreten, wegen nächtlicher Niederschläge schon beim Warmmachen in knöcheltiefem Schlamm versinken – und trotzdem mit leuchtenden Augen herumflitzen wie Harry Potter auf seinem Nimbus 2000 beim entscheidenden Quidditch-Spiel gegen Slytherin.
Nun hinkt dieser Vergleich ein wenig: Es ist eher die zweite Mannschaft von Hufflepuff, gegen die das Altona-Team am vergangenen Sonntag die Saison beschließen will. Nienstedten II ist dabei ein etwas tragischer Fall: Weil es offenbar keine F-Mädchen-Mannschaft beim Verein aus dem westlichen Vorort gibt, werden alle jüngeren Spielerinnen in der E2 vereint, so dass hier ein bunter Mix der Jahrgänge 2006, 2007, 2008 und sogar 2009 zusammenspielt. Warum dieses Nachwuchsteam dann obendrein in einer relativ starken E-Staffel gemeldet ist, bleibt das Geheimnis von Nienstedten. Das Resultat ist brutaler Realismus: letzter Platz, null Punkte, und eine Tordifferenz, über die wir hier aus Anstand nicht sprechen wollen.
Doch Altona hat seine eigene Agenda. Nachdem die Saison auch für die A93-E1 nicht immer rund lief, man gegen Blankenese und Süderelbe heftige Klatschen kassierte, gegen Scala und den HSV knapp und unglücklich verlor, soll heute ein versöhnlicher Abschluss her. Man steht auf Platz 6 der acht Mannschaften fassenden Tabelle, kann mit einem Sieg Platz fünf erreichen. Und sogar Platz vier, derzeit vom HSV besetzt. Dafür aber benötigen die Deerns ein Ergebnis mit neun (!) Toren Unterschied, um die bessere Tordifferenz aufzuweisen. Darf man sich so ein Ergebnis vornehmen, oder ist dann der Druck zu hoch? Immerhin haben die Mädels rund um Coach Schönrot einen Lauf. Beim Turnier in Bremerhaven am Wochenende zuvor erreichten sie Platz 3 von zehn Teams. Und nur einen Tag ist es her, dass sie beim Turnier in Felde bei Kiel mit teils berauschendem Spiel zweite von 12 Mannschaften geworden sind, im Finale nur im Neun-Meter-Schießen bezwungen werden konnten.
Die E1 mit Anna, Ella, Emilia, Juli, Lily, Lina, Louise, Luna und Maj tritt auf dem vom Dauerniesel der Nacht verzauberten Platz an, der heute einer wunderbaren Wattlandschaft im Frühdunst gleicht. Auch die Mädchen aus Nienstedten murren nicht, ebenso wenig ihr Anhang. Das ist schon fast englische Sportsgirlship! Pfiff, Anstoß Altona, los geht’s. Louise sprintet mit Ball nach vorne, Emilia entert den Strafraum, empfängt den Pass, Tor! Nach zehn Sekunden. Das ultraschnelle Führungstor – ein mittlerweile bewährtes Taktikelement der Schönrotschen Spielphilosophie, bei den Turnieren in Felde und Bremerhaven erstmals eingeführt.
So geht es weiter: Minute 3, Emilia-Knaller, 2:0. Und weiter und weiter: Minute 6, Juli haut einen Volleyschuss an die Latte. Minute 7: Emilia fängt einen zu kurzen Abstoß vom Nienstedten-Tor ab, das 3:0. Noch in der gleichen Minute erhöht Louise zum 4:0. Lina im Altona-Tor hat nichts zu tun, der eigene Strafraum ist dank der Abwehr um Ella und Juli sicher wie Hogwarts, Luna und Anna im Mittelfeld spielen, je nach Ein- und Auswechslung, feine Pässe in die Spitze, wo die Offensiv-Abteilung mit Louise, Emilia, Lily und Maj nach Belieben zaubert.
Nienstedten ist überfordert, und das ist ja auch kein Wunder. In der 13. Minute bekommt eine Spielerin des Gegners den Ball ins Gesicht, muss raus, aber es gibt keine Auswechselspielerin. Fritz beweist Größe, nimmt ebenfalls ein Deern vom Platz. Ach, die Nienstedten-Mädels tun einem leid. Sie können dribbeln und passen, das sieht man, doch wer zwei Jahre jünger ist als sein Gegenüber, kann seine Kunst nicht recht entfalten. 14. Minute: 5:0 (Lily), 18. Minute: 6:0 (Louise), 20. Minute: 7:0 (Lily), 21.Minute: 8:0 (Lily), 23. Minute: 9:0 (Ella), 24. Minute: 10:0 (Maj), Halbzeitpause.
Zweite Halbzeit. 26. Minute: 11:0 (Lily), 28. Minute: 12:0 (Lily), 28. Minute: 13:0 (Emilia), 32. Minute: 14:0 (Louise). In der 37. Minute dann das vielleicht schönste Tor des Sonntags: Maj, jetzt im Tor, schickt einen ihrer weiten Abstöße in des Gegners Hälfte, Emilia nimmt den Ball gekonnt über die rechte Seite mit, flankt scharf vors Tor, wo Lina volley vollendet. Das hat Bundesliga-Niveau.
Fritz aber, der Albus Dumbledore von Altona, bremst seine Mädels ehrenhaft aus. Das Ziel, den HSV von Platz vier zu verdrängen, ist längst erreicht, demütigen will hier niemand die bedauernswerten Mädchen aus Nienstedten. Das Ergebnis lautet 15:0, der Platz am Trenknerweg sieht aus wie ein von durstigen Wasserbüffeln hinterlassenes Schlammloch in der Kalahari-Wüste. Es werden freundlich-aufbauende Schulterklapser an die Gäste-Deerns verteilt. Die Saison ist aus. Und Lina, in der ersten Spielhälfte im Tor, in der zweiten im Sturm, vom Spiel im roten Flüssiggrant gezeichnet wie nach einem Motorcross-Rennen, spricht das Wort zum Sonntag: „Mama, ich hab’ Matsch im Mund.“ Das ist Fußball. Forza.